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Sehr geehrte Frau Staatministerin Emilia Müller,
sehr geehrter Herr Regierungspräsident Dr. Thomas Bauer,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly,
das Internationale Frauencafé ist ein von der EU, der Stadt Nürnberg und dem Bezirk Mittelfranken gefördertes Beratungsprojekt für Flüchtlingsfrauen.
Wir wenden uns heute mit einem Anliegen an Sie, das unser Projekt von Anfang an beschäftigt: Strukturell verursachte Probleme von Flüchtlingsfrauen und ihren Kindern aufgrund der Unterbringungssituation in Bayern.
Für die Unterbringung von Asylsuchenden sind nach den Bundesgesetzen in Deutschland die Landkreise und kreisfreien Städte zuständig. Das Land Bayern überträgt diese Zuständigkeit durch das bayerische Aufnahmegesetz an die einzelnen Bezirksregierungen, so zum Beispiel an die Regierung von Mittelfranken. Diese müssen die Lagerpflicht umsetzen, das heißt, dass laut Aufnahmegesetz Asylsuchende in der Regel in sogenannten Gemeinschaftsunterkünften, oftmals große Häuser mit mehr als 100 Personen, untergebracht werden müssen. Seitdem 2012 die Anschlussunterbringung nach den Erstaufnahmen nicht mehr funktioniert hat und die ersten Zelte auch in Zirndorf standen, wurden die Landkreise und Städte ebenfalls in die Pflicht genommen. Inzwischen sind mehr Geflüchtete dezentral als in staatlichen Unterkünften untergebracht.
Ein Auszug in eine Privatwohnung ist in beiden Fällen nur in besonderen Ausnahmesituationen und im Einzelfall möglich, z.B. wenn die Unterbringung gesundheitsgefährdend ist aufgrund einer vorliegenden schweren Erkrankung oder wenn das Asylerstverfahren abgeschlossen ist – bei Familien mit minderjährigen Kindern nach Abschluss, ansonsten nach Ablauf von vier Jahren nach Abschluss. Derzeit warten Flüchtlinge oft länger als 2 Jahre auf eine Entscheidung des Bundesamtes über ihr Asylverfahren und fühlen sich alleine in dieser Situation an ihr Zimmer gefesselt.
Bisher wird die besondere Situation alleinstehender Frauen sowie alleinerziehender Frauen und ihrer Kinder bei der Unterbringung zu wenig bis gar nicht beachtet. Dabei sind sie besonders schutzlos. Viele werden in Unterkünften mit männlichen Bewohnern untergebracht. Die gemischte Unterbringung bedeutet v.a. in großen Gemeinschaftsunterkünften z.B., dass Frauenzimmer neben Männerzimmern liegen, ein gemeinsamer Flur benutzt werden muss, um zu den Toiletten, Waschräumen, Duschen und der Gemeinschaftsküche zu gelangen. Oft liegen die Sanitäreinrichtungen nebeneinander. Frauen berichten, dass manche Männer ihre Einrichtungen benutzen, u.a. da sie sauberer sind. Frauen und Kinder trauen sich nachts häufig nicht auf die Toiletten und manche Frauen lassen ihre Töchter auch tagsüber nicht alleine in die Sanitäreinrichtungen.
Alleinstehende Frauen erzählten, dass sie unverhohlen von männlichen Bewohnern angemacht und zu Sex aufgefordert wurden. Sie berichten, dass sie belästigt, als „Huren“ beschimpft und zu „Schlampen“ abgestempelt werden, erst recht wenn sie ihre eigenen autonomen Entscheidungen treffen, mit wem sie sprechen, welchen Besuch sie haben etc. Frauen berichteten mehrfach von körperlichen Attacken gegen sie.
Gerade gegenüber alleinstehenden Frauen herrscht ein hohes Maß an sozialer Kontrolle durch andere BewohnerInnen. Mehrere Frauen wurden von Mitbewohnern gemaßregelt und zu „züchtigem“ Verhalten (bspw.
Kleidung / Kopftuch) aufgefordert. Alleinstehende Frauen berichten von sozialen Konflikten aufgrund der Tatsache, dass sie allein sind und damit als schutzlos gelten, dass sie und ihre Kinder
gemieden und beschimpft werden.
Die Schutzbedürftigsten, die Kinder, sind v.a. in den großen Unterkünften in besonderem Maße gefährdet. Frauen mit Kindern berichten, dass ihren Kindern distanzloses, übergriffiges Verhalten (anfassen, zwicken, streicheln) durch andere Bewohner widerfahren ist. Kinder werden auf engstem Raum mit Erwachsenen konfrontiert, die traumatische Erlebnisse, wie Krieg und Gewalt, auf unterschiedlichste Art verarbeiten. Das bedeutet, dass Kinder verschiedenste Formen von Gewalt, von Anschreien bis körperlicher Gewalt, Drogen- und Alkoholmissbrauch und andere psychische Auffälligkeiten miterleben müssen. Ganz zu schweigen von Abschiebungen mitten in der Nacht im selben Flur. Das betrifft Kinder, die häufig selbst traumatische Erfahrungen mitbringen.
Frauen, die Gewalt in der Ehe erleben, leiden zusätzlich unter den strukturellen Vorgaben der Lagerpflicht und können nicht einfach und schnell aus- und umziehen oder offiziell bei FreundInnen wohnen. Auch eine Umverteilung des gewalttätigen Ehemanns kann in der Regel nicht unverzüglich erfolgen. Frauenhausplätze sind rar und die schwierige Finanzierung bei betroffenen Asylbewerberinnen stellt die Frauenhäuser vor große Probleme, so dass manche Häuser Asylbewerberinnen erst aufnehmen, wenn die Kostenübernahme gesichert ist – dies bedeutet wiederum einen längeren Verbleib beim gewalttätigen Ehemann.
Flüchtlingsfrauen sind in besonderem Maß schutzlos. Die Sprach- und Hilfslosigkeit aufgrund mangelnder Angebote an Deutschkursen, aber auch die Unwissenheit über Frauenrechte sowie sexuelle Selbstbestimmungsrechte und die isolierte Lage mancher Unterkünfte vergrößert ihre Schutz-und Hilfebedürftigkeit. In den Unterkünften und v.a. in Pensionen sind sie auf das Wohlwollen der Wirte und des Personals angewiesen. Viele Frauen v.a. in dezentralen Unterkünften fühlen sich fremdbestimmt durch die Macht der Hausbesitzer, die die Regeln aufstellen, Postverteilen und zum Teil immer noch die Essenszeiten sowie die Mahlzeiten bestimmen. Die Wirte und Hausmeister haben Schlüssel für die Zimmer und können diese auch unangemeldet kontrollieren. Die geschilderten Probleme von Frauen kommen zu den anderen alltäglichen Problemen, die diese Unterbringung für alle BewohnerInnen mit sich bringt, hinzu, wie z.B. die teils fehlende Infrastruktur (fremdsprachige ÄrztInnen, DolmetscherInnen, Nahverkehr etc.), fremde ZimmermitbewohnerInnen verschiedener Kulturen und Sprachen und die fehlende Privatsphäre.
Doch wie sind die Frauen und ihre Kinder zu schützen?
Wir benötigen Wohnungen oder Unterkünfte, die als Schutzraum für alleineingereiste Frauen und LGBTI fungieren und eine Sensibilisierung bei der Verteilung in Flüchtlingsunterkünfte für vulnerable Personen.
Wir fordern generell die Abschaffung der Lagerpflicht in Bayern, die für diese strukturellen Probleme verantwortlich ist. Solange Flüchtlingsfrauen jedoch noch in Sammelunterkünften untergebracht
werden, fordern wir eine großzügigere Auszugsregelung für Frauen und Kinder. Solange belästigte oder geschlagene Frauen in den Unterkünften nicht schnell und unbürokratisch Hilfe bekommen aufgrund
der Strukturen, braucht es Notplätze in Frauenunterkünften.
Wir unterstützen damit auch die Forderung der Grünen und des Integrationsrates im Nürnberger Stadtrat, alleineingereiste Flüchtlingsfrauen mit und ohne Kinder – und LGBTI – in eigenen separaten
Unterkünften unterzubringen.
Da inzwischen immer mehr dezentrale Unterkünfte, dabei kleine abgetrennte Wohneinheiten oder Wohnungen, gestellt werden, gibt es kommunale Spielräume.
Wir begrüßen, dass die Stadt Nürnberg Bereitschaft signalisiert hat, und mit ersten kleinen Wohneinheiten für Frauen beginnen möchte. Diesen Willen zum Weg wünschen wir uns auch über Nürnberg hinaus
von der Regierung Mittelfranken und der bayerischen Staatsregierung. Nach Gesprächen des Internationalen Frauencafés mit der Regierung von Mittelfranken gab es 2008 den Kompromiss, den 4. Stock in
der GU Hintermayrstraße Nürnberg nur mit Frauen zu belegen. Aber: Ein einzelnes Stockwerk nur für Frauen in einem gemischtgeschlechtlichen Sammelunterkunft wie in der Hintermayrstraße oder ein paar
Wohneinheiten in der Friedrichstraße in Nürnberg reichen nicht aus.
Flüchtlingsfrauen brauchen eine generelle und dauerhafte Lösung!
Freie Wohnortwahl statt Lager!
Keine gemischtgeschlechtliche Unterbringung von alleinstehenden Flüchtlingsfrauen in Gemeinschaftsunterkünften und dezentraler Unterbringung!
Flüchtlingsfrauen und Kinder raus aus den Lagern!
UnterzeichnerInnen:
AGABY Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migranten- und Integrationsbeiräte Bayerns
Bayerischer Flüchtlingsrat
Fachkonferenz „Frauen und Ökumene“ in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern (ELKB)
FMGZ - Frauen & Mädchen Gesundheits-Zentrum e.V.
frauenBeratung nürnberg für gewaltbetroffene Frauen & Mädchen
Freie Flüchtlingsstadt Nürnberg
IFMZ - Internationales Frauen- und Mädchenzentrum e.V.
Rat für Integration und Zuwanderung der Stadt Nürnberg
IN VIA KOFIZA - KOntakt-, Förderungs- und IntegrationsZentrum für Außereuropäische Frauen und deren Familien
Lilith e.V. - Verein zur Unterstützung von Frauen mit Drogenproblematik
Mädchen und Frauen FachForum in Nürnberg (18 Beratungsstellen und Initiativen)
Mädchentreff e.V. Nürnberg
Medizin und Menschenrechte Erlangen
Migrantinnen-Netzwerk Bayern e.V.
Netzwerk Rassismus- und Diskriminierungsfreies Bayern
Ökumenisches Kirchenasylnetz Bayern
Rechtsanwälte Rainer Frisch, Barbara Martelock und Ursula Kirchner-Petzel
Terres des Femmes - Menschenrechte für die Frau e.V.– Städtegruppe Nürnberg
WILDWASSER Nürnberg e.V. - Fachberatungsstelle für Mädchen und Frauen gegen sexuellen Missbrauch und sexualisierte Gewalt
Women in Exile e.V.
und über 50 Besucherinnen des Internationalen Frauencafés
Auch Teile des CSU und andere Verbände fordern ähnliches:
Die Frauen-Union Niederbayern fordert mehr Schutz für weibliche Flüchtlinge in Deutschland. Den oftmals traumatisierten Frauen müsse ein Gefühl von Sicherheit vermittelt werden. Die Frauen-Union fordert unter anderem abschließbare Schlafräume.
Weiterlesen hier:
Der Katholische Deutsche Frauenbund Bayern
Der bayerische Landesfrauenrat
http://www.stmas.bayern.de/imperia/md/content/stmas/lfr/presse/140729_stn_gesundheit.pdf
Der Paritätische Wohlfahrtsverband